Früher war Deutschland ein christliches Land. Man war entweder katholisch oder evangelisch, „Gottlose“ waren die Ausnahme. Andere Religionen spielten keine nennenswerte Rolle. Heute gehört nur noch gut die Hälfte der Deutschen einer der beiden christlichen Kirchen an. Und wenn sich der aktuelle Trend fortsetzt, werden Christen in Deutschland bald eine Minderheit sein. Schon sind etwa 40 Prozent der Deutschen konfessionslos und bilden somit die stärkste Gruppe – vor Katholiken und Protestanten. In den östlichen Bundesländern ist dank der sozialistischen Vergangenheit bereits die absolute Mehrheit ohne Konfession.
Die anhaltenden Schlagzeilen über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche lassen die Zahl der Kirchenaustritte noch einmal in die Höhe schnellen. Viele Menschen empfinden die Kirchen als etwas Gestriges, mit dem man sich nicht mehr befassen muss. Wird es also in fünfzig oder hundert Jahren keine Kirchen mehr geben? Hat Religion ausgedient?
Die traditionellen Kirchen werden vielleicht weiter an Bedeutung verlieren, aber zumindest als Träger sozialer Organisationen, als Betreiber von Krankenhäusern, Altenheimen und Kindergärten noch lange erhalten bleiben. Außerdem sie sind schon lange nicht mehr die einzigen Religionsträger im Land. An die zehn Prozent der Bevölkerung gehören bei uns inzwischen zu anderen Glaubensgemeinschaften – allen vorweg dem Islam – und es zeigen sich an vielen Ecken neue Formen von Spiritualität.
Denn Spiritualität bleibt der Kern der Religion, auch wenn das durch die traditionellen „Kirchenbürokratien“ zeitweise verdeckt wird. Das rein wissenschaftliche Weltbild, dass das Leben auf das rein Materielle reduziert, vermag viele Menschen auf Dauer nicht zufriedenzustellen. Das zeigt sich allein in der großen Faszination von spirituellen Angeboten aller Art, so merkwürdig sie auch manchmal daherkommen. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass Religion auch in Zukunft eine Rolle spielen wird. Wir wissen nur noch nicht, welche Formen sie künftig annehmen wird.